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Jakob Heine - in den USA unvergessen

d'Kräz 11 (1991)

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Drei große Söhne der Familie Heine aus Lauterbach wurden in drei Beiträgen vorgestellt, zuletzt in D'Kräz Nr. 10 (1990) Jakob Heine (1800-1879).
(siehe auch Stammtafel der Heines aus Lauterbach )
Wie groß die Bedeutung dieses vom württembergischen König geadelten Arztes und Forschers über das 19.Jahrhundert und über seine deutsche Heimat hinaus war und ist, wird dadurch verdeutlicht, dass im amerikanischen Bundesstaat Georgia eine Bronzebüste des Entdeckers der "Heine-Medinschen Krankheit" , der spinalen Kinderlähmung, zu sehen ist.
Hierüber wurde bereits im oben erwähnten Aufsatz berichtet, doch aufgrund brieflicher Nachforschungen und eines persönlichen Besuchs meines englischen Freundes und Partners Henry Lytton Cobbold ist es mir möglich, etwas mehr über die Hintergründe dieser Ehrung für den Lauterbacher Jakob Heine zu sagen und aktuelle Bilder der insgesamt siebzehn Bronzebüsten in Warm Springs (Georgia) zu zeigen.

Die Warm Springs Foundation

(Roosevelt Warm Springs Institute for Rehabilitation)

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Abb. 1: Warm Springs liegt im Westen des amerikanischen Bundesstaates Georgia, nahe der Grenze zum Nachbarstaat Alabama.


Etwa 110 km südwestlich der Haupstadt Atlanta und 50 km nördlich von Columbus (siehe Abb. 1) liegt Warm Springs, das in mehrfacher Beziehung mit dem Namen des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt verbunden ist. In aller Welt wurde der Ort bekannt, als der Präsident am 12. April 1945 kurz nach dem Antritt seiner vierten Amtsperiode dort verstarb. Dass Warm Springs kein zufälliger Aufenthaltsort Roosevelts war, verrät noch heute ein Gebäude, das "Little White House", das sich in der Nähe des Ortes befindet. Roosevelt verbrachte vor und während seiner Amtszeit (1933-45) immer wieder mehrere Wochen in Warm Springs. Er war 1921 - nach der damaligen Diagnose - an spinaler Kinderlähmung erkrankt. Heute vertritt die Forschung eine andere These: bei Roosevelts Krankheit handelte sich um das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder Polyradikulitis. Roosevelt hatte die Krankheit trotz schwerer Behinderungen soweit überwunden, dass er 1932 für das höchste Staatsamt kandidierte und schließlich insgesamt zwölf Jahre als Präsident amtierte. Roosevelt war es, der bereits 1927 die "Georgia Warm Springs Foundation" begründete, deren Hauptaufgabe zunächst die Behandlung der spinalen Kinderlähmung sein sollte.
Heute - nach der erfolgreichen Bekämpfung der Krankheit seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts - heißt die Einrichtung "Roosevelt Warm Springs Institute for Rehabilitation" und betreut in sechsundzwanzig verschiedenen Abteilungen Patienten mit Behinderungen aller Art.

Jakob Heine in der "Ruhmeshalle der Kämpfer gegen die Kinderlähmung"

Im Jahre 1958 feierte die "Warm Springs Foundation" ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Der Bildhauer Edmond Romulus Amateis wurde beauftragt, zum Gedenken an den über hundertjährigen Kampf gegen die Kinderlähmung die wichtigsten Ärzte und Forscher, die zum Sieg über die Krankheit beigetragen hatten, in Bronzeplastiken darzustellen, die dann an der Außenfassade der "Roosevelt Hall", heute "Founders Hall", angebracht wurden. Es handelt sich um fünfzehn Mediziner - darunter auch eine Frau - , sowie zwei Nichtmediziner, nämlich Roosevelt und den damaligen Präsidenten der Warm Springs Foundation, Basil O'Connor.
Zusammen mit zwei Reliefs am Hofausgang der Halle, die Roosevelt und die blinde und taube Schriftstellerin Helen Keller zeigen, bilden die Portraitbüsten eine Art "Ruhmeshalle", gewidmet den erfolgreichen Kämpfern gegen die Kinderlähmung aus zwei Jahrhunderten und von zwei Kontinenten ("Polio Hall of Fame").


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Abb. 2 : Farbaufnahme der Polio Hall of Fame, aufgenommen von Henry Lytton Cobbold im August 2001
Jakob Heine aus Lauterbach, ganz links (1), in einer Reihe mit dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt, rechts oben (16).
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Betrachten wir die Abbildung etwas näher: Die erste Büste (1) zeigt mit Recht Jakob Heine, da er zum ersten Mal im Jahre 1840 in einem in Stuttgart veröffentlichten Buch die Krankheit beschrieb, die er in der 2. Auflage von 1860 "Spinale Kinderlähmung" nannte. Ebenso folgerichtig ist als zweiter Polio-Forscher der schwedische Arzt Oskar Medin (1847-1927) abgebildet (2), der den ansteckenden und epidemischen Charakter der Krankheit erkannte, weshalb sein Schüler Ivar Wickman(1872-1914) (3) den Namen "Heine- Medinsche Krankheit" prägte. Nach diesen drei Pionieren der Polio- Forschung folgt der Universalmediziner Karl Landsteiner (1868-1943), der 1909 den Poliovirus entdeckte und nachwies, dass Polio auf Affen übertragen werden kann. Landsteiner erhielt 1930 den Medizin-Nobelpreis für seine Entdeckung der Blutgruppen erhielt (4).
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Abb. 3: Die ersten vier Büsten, von links nach rechts: Heine, Medin, Wickman, Landsteiner (Foto von Henry Lytton Cobbold)


Werfen wir einen näheren Blick auf die Heine-Büste:

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Abb. 4: Jakob Heine (Foto von Henry Lytton Cobbold)


Anschließend handelt es sich um folgende Persönlichkeiten:
  • Thomas M. Rivers (1888 - 1962) (5), führender amerikanischer Virologe, Vorsitzender des Ausschusses der Nationalstiftung, der 1954 die erfolgreichen Feldversuche mit Polioimpfungen plante.

  • Charles Armstrong (6), Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen, der 1939 entdeckte, dass bestimmte Rassen von Polioviren auf Baumwollratten übertragen werden konnten, was einige Forschungen wesentlich vereinfachte.

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    Charles Armstrong / rechts:im Labor
    Fotos: National Library of Medicine


  • John R. Paul (7), Virologe an der Yale Universität, erster Preisträger der Nationalstiftung (1938). Trug wesentlich zu Erkenntnissen über die Polioverbreitung bei.

  • Albert Bruce Sabin (1906 - 1993) (8), Wissenschaftler an der Universität von Cincinnati und Vorreiter bei der Suche nach Impfstoffen gegen die Kinderlähmung. Er zeigte auf, wie das Virus ins zentrale Nervensystem eindringt.Vater der Schluckimpfung mit lebenden Viren.

  • Thomas Francis Jr. (1900 - 1969)  (9) , Lehrer und Mentor Salks  (15), Epidemiologe an der Universität von Michigan Er erkannte und förderte die Sicherheit und Wirksamkeit der Salk-Impfung.

  • John L. Melnick (1914 - 2001) (10) , Wissenschaftler an der Yale Universität, später am Nationalen Gesundheitsamt. Seine Polioforschungen in vielen Teilen der Welt halfen bei der Entwicklung von Immunitätsvorkehrungen beim Auftreten des Poliovirus.


  • Isabel Morgan (verh. Mountain) (1911 - 1996) (11) , Virologin an der Johns-Hopkins-Universität, die zusammen mit Bodian (13) und Howe (12) durch Versuchsimpfungen an Affen zur Entwicklung von Impfstoffen beitrug.

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    links: Dr Morgan im Labor rechts: vor Ihrer Büste in Warm Springs
    Fotos: Barbara Morgan/ Amateis Papers
    Ihr Vater war der Nobelpreisträger für Medizin oder Physiologie von 1933 Thomas Hunt Morgan.

  • Howard A. Howe (12) , Wissenschaftler an der Johns Hopkins Universität, der als Erster nachwies, dass Schimpansen oral mit Kinderlähmung angesteckt werden können. Er experimentierte in kleineren Versuchsreihen an Menschen mit einem Impfstoff, der mit Formalin behandelt wurde.

  • David Bodian  (1910 - 1992) (13), Wissenschaftler an der Johns Hopkins Universität, dessen Forschungen nachwiesen, dass das Virus vor Erreichung des zentralen Nervebsystems in die Blutbahn gelangt und somit durch Antikörper im Blut aufgehalten werden kann.

  • John F. Enders (1897 - 1985) (14), Wissenschaftler am Kinderkrankenhaus in Boston, der den Weg wies, Polioviren in anderem als Nervengewebe zu züchten, was die Produktion von Impfstoff in großen Mengen ermöglichte. Er und seine MitarbeiterThomas Huckle Weller und Frederick Chapman Robbins erhielten 1954 den Nobelpreis für Medizin.

  • Jonas E. Salk  (1914 - 1995) (15), Pionier der Polio-Impfung in großem Stil. Professor and der Universität von Pittsburgh, der den Impfstoff mit "inaktivierten" Polioviren an sich selbst und an seinen drei Kindern testete, bevor er in den landesweiten Versuchsreihen 1954 zum Einsatz kam.

  • Franklin D. Roosevelt (1882-1945) (16), 32. Präsident der USA, der seit 1921 an Kinderlähmung litt und 1927 die "Georgie Warm Springs Foundation" und 1938 die Nationalstiftung für Kinderlähmung" gründete.

  • Basil O'Connor (17), New Yorker Rechtsanwalt, bekannt als der Architekt des Kampfes gegen die Kinderlähmung. Präsident der Nationalstiftung für Kinderlähmung seit ihrer Gründung (1938) und der Georgie Warm Springs Foundation nach 1945.


Die Reihenfolge der Büsten ist nicht chronologisch. Hervorzuheben ist der Nobelpreisträger von 1954, John F. Enders (14), der die Voraussetzungen für die Herstellung von Polio-Impfstoff in größeren Mengen schuf, indem er die Viren erfolgreich in anderem als Nervengewebe züchtete. Mit Jonas E. Salk (15) und Albert B. Sabin (8) werden die beiden Virologen gezeigt, deren Forschungen die flächendeckenden Polio-Impfung in allen Ländern der Erde ermöglichten. Während Salk den nach ihm benannten (injizierten) Salk-Impfstoff entwickelte, ist Sabin der Vater der Schluckimpfung. Die übrigen (ausnahmslos amerikanischen) Ärzte, darunter auch die Virologin Isabel Morgan (11), sind Wegbereiter für diese bedeutenden Mediziner gewesen.
So spannt sich der Bogen von unserem Landsmann Heine über die beiden Schweden Medin und Wickman und den Österreicher Landsteiner bis zu den Amerikanern Salk und, Sabin, welche die die Kinderlähmung endgültig besiegten. Mit unterschiedlicher Kopfhaltung, nach links zu den Medizinern hin, bilden die beiden Laien, Roosevelt (16) und O'Connor (17), den Abschluss der Reihe erfolgreicher Kämpfer gegen die tückische Krankheit, deren Entdeckung und erste Beschreibung das Verdienst des Lauterbachers Jakob Heine ist.


Herzlich zu danken ist Henry Lytton Cobbold, der nicht nur aktuelle Fotos aus Warm Springs beisteuerte, sondern auch die englische Version dieses Artikels durchsah.

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