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Bernhard Heine - von Königen geehrt und von Zar Nikolaus umworben

d'Kräz 9 (1989)

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Keine andere Familie aus dem Schramberger Raum hat so viele bedeutende Mediziner hervorgebracht wie die Heines, deren Ahnherr Johannes aus Vöhrenbach um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert nach Hardt gekommen war, wo er den noch heute so benannten "Wälderhof" betrieb. Sein Sohn Joseph war Bierbrauer und zog 1758 nach Schramberg und 1770 nach Lauterbach, in die Heimatgemeinde seiner Ehefrau Anna Maria Katharina, geb. Haberstroh. Von den zahlreichen Kindern aus dieser Ehe war zweifellos der im April 1771 in Lauterbach geborene Johann Georg Heine, der Vater der Orthopädie in Deutschland, das bedeutendste. Sein Leben und sein Werk wurden in der "Kräz" No. 8 (1988) gewürdigt.

Abb.1: Stammtafel der Heines aus Lauterbach)


Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einem Enkel von Joseph und Anna Heine, dem am 20. August 1800 in Schramberg geborenen Bernhard Heine, Sohn des Franz Xaver Heine und der Maria Johanna Kräutle aus Schramberg.

Mit Bernhard Heine begegnet uns ein Mediziner, der sowohl in der medizinischen Fachwelt, als auch in der späteren Heimatforschung über die Familie Heine im Schatten seines berühmten Onkels Johann Georg stand. Diese letztere Tatsache hat wohl darin ihren Grund, dass der Neffe seine medizinische Laufbahn unter der Protektion des Onkels begann, sodass sein Aufstieg vom Sohn eines Weißgerbers zu einem in ganz Europa bedeutenden Arzt und Forscher schon nicht mehr so ungewöhnlich war, wie der des Messerschmiedes Johann Georg Heine zum bedeutendsten Orthopäden des 19. Jahrhunderts. Die zurückhaltende Beurteilung von Bernhard Heines Leistungen durch die Mediziner hat andere Gründe, wie noch gezeigt werden soll.

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Abb.2: Bernhard Heine
Bildquelle s. Lit.-Verz. (3)

Es ist die Aufgabe des vorliegenden Beitrags zu zeigen, dass Bernhard Heine in vielen Bereichen der Medizin weit über die Leistungen und Erkenntnisse seines Onkels hinausgelangt ist. War Johann Georg Heine der Handwerker, der zum Chirurgen wurde und schließlich in kühner Selbstüberschätzung glaubte, alle Bereiche der Medizin beherrschen zu können, so tritt uns mit Bernhard Heine der gründlich geschulte Orthopäde gegenüber, der seine handwerklichen Fähigkeiten durch exakte wissenschaftliche Forschungen und durch geniale technische Erfindungen ergänzt, und schließlich zu noch heute gültigen Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Physiologie gelangt.

Es ist sicher kein Zufall, dass Bernhard Heine erst nach dem Wegzug seines Onkels in die Niederlande (1829) mit seiner bedeutenden Erfindung, dem Osteotom, von dem noch die Rede sein wird, an die Öffentlichkeit tritt, und zu einem in ganz Europa anerkannten Mediziner wird.

Die Würzburger Lehrjahre (1810 - 1822)

Obwohl wir keine Quellen darüber besitzen, ist anzunehmen, dass die großen Erfolge Johann Georg Heines in Würzburg auch den Schramberger und Lauterbacher Verwandten bekannt waren. Und so ist es auch zu verstehen, dass die Eltern Bernhard Heines ihren Sohn bereits im Alter von zehn (nach anderen Quellen dreizehn) Jahren zur Ausbildung nach Würzburg schicken. Es ist die Zeit, in der die Heinesche Werkstatt durch die Folgen der andauernden Kriege einen regelrechten "Boom" erlebt, und Johann Georg Heine kann wohl jede Hilfe brauchen. So bildet er seinen 1801 geborenen Sohn Joseph und auch den Neffen Bernhard zu Orthopädiemechanikern aus. Der junge Bernhard ergänzt die Mechanikerlehre bald durch wissenschaftliche Studien an der Julius-Maximilians-Universität, obgleich es keinen Nachweis für eine ordnungsgemäße Immatrikulation gibt. Auch ein Studienabschluss oder eine Promotion ist nirgends belegt. Sicher hat Bernhard Heine aber auf Fürsprache seines Onkels hin Zutritt zu anatomischen Vorlesungen und vor allem zu praktischen Vorführungen in der Chirurgie. Dazu kommt die dauernde Praxis in der orthopädischen Heilanstalt des Onkels im 1816 eröffneten Karolinen-Institut, wo Bernhard bald mit wichtigen Aufgaben betraut wird. Der Zwanzigjährige unternimmt zahlreiche Reisen, um seine medizinischen Kenntnisse zu vertiefen, und kehrt schließlich 1822 an das Karolinum zurück, um die Leitung der Werkstätten und eines Teils der Heilanstalt zu übernehmen. Nach dem Wegzug Johann Georgs nach Holland übernimmt der Neffe Bernhard die Gesamtleitung des Karolinen-Instituts.

Bernhard Heines bedeutende Erfindung:
Das Osteotom

Seit 1824 beschäftigt sich Heine damit, die Technik bei Operatio- nen an Knochen zu verbessern. "Mit Widerwillen sah ich," schreibt er später, "die mühevolle Arbeit an, mit der an Leichen der Rückenmarkkanal geöffnet wurde, und dieses Verfahren zu erleichtern erfand ich eine Scheibensäge, die aber ihrem Zwecke nicht entsprach. Nach vielen fruchtlosen Versuchen stellte ich mir die etwas paradoxe Frage: warum behandelt man denn die Knochen nicht mit dem Messer, wie die weichen Theile?" In der Knochenchirurgie wird weitgehend mit Hammer und Meißel, oder - beispielsweise bei der Öffnung der Schädeldecke - mit dem Trepan, einer Art Bohrer, gearbeitet. Auch Knochensägen der verschiedensten Art waren bereits erfunden, wurden jedoch meist nur vom Erfinder selbst und mit geringem Erfolg angewandt. Es ist das Verdienst Bernhard Heines, nach jahrelangen Versuchen den Chirurgen seiner Zeit ein Instrument an die Hand zu geben, das die operative Technik revolutioniert. Hören wir das begeisterte Echo, wie es in der noch zu Heines Lebzeiten erschienenen Dissertation über das Osteotom zum Ausdruck kommt:

"So reich die Chirurgie an neuen Erfindungen ist, so steht doch gewiss einzig, alle andern weit überstrahlend, das von Hrn. Dr. Heine in Würzburg erfundene Osteotom da, ein Instrument, einst gewiss jedem Operateur unentbehrlich."
(Carl Noodt, Das Osteotom und seine Anwendung, Diss. München 1836).

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Abb.3: Das von Bernhard Heine erfundene Osteotom (1830)
Bild: Deutsches Orthopädisches
Geschichts- und Forschungsmuseum

Es ist nicht die Aufgabe dieses Beitrags, das Instrument in seinen Einzelheiten zu beschreiben, zumal es in der heutigen Chirurgie keine Verwendung mehr findet. Die beiden Abbildungen (4a und 4b) sollen genügen. Sie zeigen zum einen das Instrument mit dem vielfältigen Zubehör (Abb. 4a) und die Anwendung bei einer Kieferoperation (Abb.4b).

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Abb.4a: Osteotom mit Zubehör, Abb.4b: bei der Anwendung
Bildquelle s. Lit.-Verz. (3)

Wohl aber ist es wichtig, die Wirkung zu zeigen, die Bernhard Heine mit seiner Erfindung weit über Würzburg, ja weit über Deutschland hinaus, gehabt hat. Im August 1830 stellt er das Osteotom der medizinischen Fakultät der Würzburger Universität vor und demonstriert es zunächst an toten und lebenden Tieren. Im Oktober des folgenden Jahres reist er nach München und zeigt seine Erfindung den dortigen Chirurgen mit dem gleichen Erfolg wie in Würzburg. Jetzt hat Heine auch bereits die erste erfolgreiche Operation an einem lebenden Menschen durchgeführt, und das Instrument wird von anderen bedeutenden Chirurgen verwendet. Heines Mentor, der Leiter des Würzburger Juliusspitals Cajetan von Textor, operiert mit dem Osteotom ebenso wie Heines Freund Bernhard Demme, der 1832 in Warschau zahlreiche Verwundete des polnischen Aufstandes behandeln muss. Das Jahr 1833 führt Heine erneut nach München, aber auch nach Breslau, Wien und Jena, wo er überall hohe Anerkennung für seine Erfindung erfährt. Die Werkstatt in Würzburg kommt mit der Fertigung von Osteotomen den laufend aus ganz Europa eintreffenden Bestellungen kaum nach. Der Doktorand Noodt zählt bis zum Jahr 1835 insgesamt 60 Operationen in vielen europäischen Städten auf. Auch Heines Vetter Joseph, der inzwischen in Bamberg praktiziert, benutzt 1835 das Osteotom.
In Frankreich, dem Land, das in der Medizin vor allen anderen europäischen Ländern rangiert, wird man auf Bernhard Heine aufmerksam. Er erhält eine Einladung nach Paris, wo er 1834 sein Instrument, aber auch Knochenpräparate aus seiner Würzburger Sammlung vorführt und die höchste Anerkennung bei den französischen Ärzten findet. Die französische Akademie der Wissenschaften verleiht ihm zwei Jahre später am 18. Juli 1836 für seine Erfindung den Preis für Medizin und Chirurgie, der mit 2000 Francs dotiert ist.
Nun will auch die heimische Universität in Würzburg nicht nachstehen und verleiht dem erfolgreichen Mediziner die Ehrendoktorwürde der medizinischen Fakultät. Ganz im Stil der Zeit schwelgen die Zeitgenossen in kühnen Vergleichen:

"Den großen Newton führte der fallende Apfel auf das Gesetz der Gravitation, und in einer Beziehung ist dieser Vergleich nicht zu gewagt, wenn man weiß, dass auch ein .... geringfügiger Umstand unsern H. auf eine Erfindung leitete, die, wie jenes Gesetz in der Astronomie, in den Annalen der Chirurgie Epoche machen sollte..."

(Aus dem Nekrolog auf Bernhard Heine).

Heirat mit Cousine Anna und Reise nach St. Petersburg

Am 22. Juli 1837 heiratet Bernhard Heine in Würzburg seine Base Anna Heine, die Tochter seines Onkels und Lehrmeisters Johann Georg. Dieser muss der Eheschließung wohl jahrelang Widerstand geleistet haben, obwohl er seit 1829 in den Haag und Scheveningen weilt. Bernhard Heine hat jetzt wohl durch den persönlichen Erfolg mit dem Osteotom den nötigen Mut gefunden, um sich gegen den Onkel durchzusetzen, zumal dieser in jener Zeit durch den Misserfolg seiner kühnen Planungen in Holland und die sich abzeichnende Krankheit, die 1838 zum Tod führt, an Einfluss eingebüßt haben mag. Wir wissen nur sehr wenig über Anna Heine, die älteste Tochter des Johann Georg Heine und der Anna Förtsch aus Würzburg. Es ist bezeichnend für die Berichterstattung aus jener Zeit, dass die Ehefrauen berühmter Männer in den Annalen kaum Erwähnung finden. Immerhin wissen wir, dass Anna Heine mit ihrem Mann zusammengearbeitet hat, denn die noch zu erwähnende Sammlung von Knochenpräparaten ist mit Beiblättern versehen, die von ihr beschriftet wurden.
Anna hat ihren Mann um fast vier Jahrzehnte überlebt, sie stirbt am 6. Februar 1884 in Würzburg. Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor: die 1842 geborene Anna und der 1843 geborene Carl. Letzterer bleibt ledig, wird königlich württembergischer Regierungsassessor in Stuttgart, wo er 1889 verstirbt. Er ist wie seine Eltern in Würzburg begraben; beim Denkmal für Johann Georg Heine weisen Grabplatten auf Bernhard, Anna und Carl Heine hin. Seine Schwester Anna heiratet 1862 in Würzburg den Freiherrn August von Koenig-Warthausen, der später Staatsrat und Direktor im königlich württembergischen Außenministerium war. Die Baronin muss bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts gelebt haben, denn sie hat die noch zu erwähnende Veröffentlichung über das Werk ihres Vaters noch als 86jährige gefördert. Über den Vater konnte sie sicher nur wenig Persönliches berichten, da sie bei seinem Tod erst vier Jahre alt war.
Einen Tag nach der Hochzeit reist Bernhard Heine nach Russland, um auf Wunsch des Zaren Nikolaus den russischen Medizinern sein Osteotom vorzuführen. Ehrenvoll wird er in St. Petersburg empfangen, der Zar macht ihm ein großzügiges Angebot: Heine soll orthopädischer Leiter der kaiserlichen Erziehungsanstalt in Kronstadt werden. Trotz der überaus günstigen Bedingungen lehnt Heine ab, bleibt aber ein halbes Jahr in St. Petersburg, um die russischen Ärzte in der Handhabung des Osteotoms zu unterweisen. Mit hohen Ehrungen und 6000 Gulden aus der kaiserlichen Schatulle kehrt Heine 1837 nach Würzburg zurück. Im gleichen Jahr gehen 90 Osteotome nach Russland. Bernhard Heine steht auf einem ersten Höhepunkt seiner Laufbahn.

Zahlreiche Ehrungen und Ernennungen

Nach der Rückkehr aus Russland wird Bernhard Heine 1838 vom bayerischen König Ludwig I. zum "Professor honorarius für Orthopädie und die Operationslehre mit dem von ihm erfundenen Osteotome" ernannt. Zugleich zeichnet ihn der König mit dem goldenen Zivildienstehrenzeichen aus. Weitere Auszeichnungen außerhalb Bayerns unterstreichen die große Bedeutung, die man dem Schramberger Weißgerbersohn beimisst. Aus der Hand des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. erhält Heine die Große Goldene Ehrenmedaille der preußischen Akademie der Wissenschaften, der württembergische König Wilhelm I., zu dessen Königreich der Geburtsort Heines inzwischen gehört, schenkt ihm einen Brillantring. Vom österreichischen Kaiser erhält Heine gleichfalls eine Große Goldene Ehrenmedaille.
Die Ernennung zum Ehrenprofessor und der Lehrauftrag an der Julius-Maximilians-Universität bringen auch Veränderungen in Heines beruflicher Tätigkeit. Um sich ganz den medizinischen Forschungen widmen zu können, schließt er 1838 - im Todesjahr des Onkels und Schwiegervaters Johann Georg - das Karolinum, behält aber seine Wohnung dort.

Die große wissenschaftliche Leistung: Forschungen über Knochenbildung

Während die Zeitgenossen in Bernhard Heine vor allem den genialen Erfinder des Osteotoms und den geschickten Lehrmeister in seiner Benutzung sahen, misst die Nachwelt seiner Forscherarbeit und deren Ergebnissen weit mehr Bedeutung zu. Man weiß heute, dass Heine von Anfang an neben der "handwerklichen" Frage, die schließlich zur Erfindung des Osteotoms führte, auch die wissenschaftliche Frage bewegt hat, die man auf die kurze Formel bringen kann: "Wie entstehen die Knochen und wie geht die Neubildung von Knochen nach Verletzungen (Knochenregeneration) vor sich?". Auch hier wird die heimatgeschichtliche Betrachtung nicht zum medizinischen Fachaufsatz werden dürfen, zumal sowohl dem Verfasser, wie auch den meisten Lesern die hierzu nötigen Fachkenntnisse fehlen. Soviel kann aber auch der Laie den Urteilen der Fachmediziner entnehmen: Bernhard Heine ist vom "Basteln" mit einem technischen Instrument - dem Osteotom - zum wissenschaftlich forschenden Experimentieren gekommen und ist dabei zu Erkenntnissen ge- langt, die bis heute Gültigkeit haben. Hierzu muss man einen kurzen Blick auf die Methoden der Medizin vor Heines Zeit tun. Der schon zitierte Doktorand Carl Noodt formuliert so:

Geläutert von dem, dem vorigen Jahrhunderte eigenthümlichen, Bombast der ingredienzreichen Salben und Pflaster, der complicierten Instrumente und Bandagen, hat sich die neuere Chirurgie, gleich einem Phönix, aus der Asche des vorigen Saeculums erhoben. Dank! den Männern, die, .... in unserer hohen, herrlichen Kunst den Haarbeutel verbannten, die nur die der Natur am nächsten liegenden Mittel zu ihrem Heilzwecke verwandten und den sonderbaren Spalt zwischen Medizin und Chirurgie vereinten."

Es war die durch die Schellingsche Naturphilosophie geprägte Medizin des 18. und der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, die alle natürlichen Vorgänge, also auch Krankheiten, als das Ergebnis von Wechselwirkungen in der Natur ansah. Da aber in diesem Lehrgebäude die Gesetze der Natur mit dem menschlichen Geist erfaßt werden können, kann auch die Heilung von Krankheiten auf "spekulativem" Weg ersonnen werden. "Romantische Medizin" hat man sie auch genannt, es herrscht die "graue Theorie", jegliches Experimentieren wird als unnötig abgetan.

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Abb.5: Titelseite der wichtigsten Veröffentlichung über die Arbeit Bernhard Heines (1926)

Ein bezeichnendes Beispiel für die praxisfeindliche Haltung der "romantischen Mediziner" ist die Geringschätzung der Auskultation, d. h. des Abhörens von Organen mit dem Ohr - das Stethoskop wird erst 1819 erfunden. Dieses Verfahren war bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts eingeführt worden, war aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten, ja die die wenigen Ärzte, die es praktizierten, wurden verspottet.

In diese Zeit wird Bernhard Heine hineingeboren. Bei seinem Onkel und Lehrmeister Johann Georg lernt er die orthopädische Praxis kennen. Den "romantischen" Theoretikern , die es auch in Würzburg gibt, setzt er die experimentelle Praxis entgegen. Die Demonstration des Osteotoms ist stets begleitet von einer Vorfüh- rung von Knochenpräparaten, meist von Hunden, mit denen Heine die Anwendungsmöglichkeiten des Instrumentes demonstriert. Diese Präparate gehören aber auch zu den Versuchsreihen, die Heines Frage nach der Knochenregeneration beantworten sollen. An einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen Knochen macht der Forscher Versuche, die nach dem damaligen Stand der Wissenschaft einmalig waren, und widerlegt die bis dahin gültigen falschen Theorien zur Knochenbildung, aber bestätigt auch richtige Theorien, die ohne experimentellen Nachweis von "romantischen" Medizinern aufgestellt worden waren. Und er legt seine Ergebnisse der medizinischen Öffentlichkeit zur Begutachtung vor. 1838 reicht Heine eine Schrift "Recherches sur la régénération des os" (Forschungen über die Neubildung von Knochen) bei der Pariser Akademie der Wissenschaften ein, und erhält am 13. August jenes Jahres unter dreizehn Bewerbern den ersten Preis für experimentelle Physiologie. In dieser Arbeit stellt er seine Versuche ausführlich dar und kommt zu wichtigen Ergebnissen, was die Frage der Knochenregeneration betrifft. Das Fazit für den Nichtmediziner kann man etwa so zusammenfassen: Heine beweist, was bislang als Theorie galt, dass die Knochenhaut (das Periost) bei der Knochenneubildung eine wesentliche Rolle spielt, und dass somit bei Operationen die Knochenhaut zu schonen ist, um eine möglichst gute Neubildung von Knochensubstanz zu erreichen. Diese Erkenntnis hat bis in die heutige Zeit Gültigkeit behalten, wenngleich andere Erkenntnisse Heines der späteren Forschung nicht standgehalten haben.

Die Heinesche Sammlung von Knochenpräparaten

Leider war es Bernhard Heine nicht möglich, seine Forschungsergebnissse in einer zusammenfassenden Arbeit zu veröffentlichen. Er ist zu sehr mit Experimentieren und Sammeln von Präparaten beschäftigt. Es ist das Verdienst des Berliner Chirurgen August Bier - der übrigens auch der "Erfinder" des Stahlhelms gewesen ist - in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, die Heinesche Sammlung von Knochenpräparaten in Würzburg der Medizin wieder zugänglich gemacht zu haben. Zwei Berliner und zwei Würzburger Assistenzärzte veröffentlichen als Festschrift zur 50. Jahrestagung der Gesellschaft für Chirurgie 1926 eine umfangreiche Dokumentation der Heineschen Präparate, wobei sie vor allem im biographischen Teil von Heines Tochter Anna von Koenig-Warthausen unterstützt werden. (Abb 5). Hier werden Präparate teilweise in Fotografien abgebildet und die von Heines Frau beigegebene Beschriftung abgedruckt. Auch als Laie gewinnt man einen guten Einblick in die exakte und streng wissenschaftliche Arbeit. Da ist beim jeweiligen Präparat jede Einzelheit des Versuchsablaufs und der Befund festgehalten. Die Sammlung wurde von Heines Witwe Anna an die Anatomie der Würzburger Universität gegeben, dort war sie 1926 noch vorhanden. Inzwischen sind nur noch 45 Präparate vorhanden und werden im Museum der Orthopädischen Universitätsklinik Würzburg ausgestellt.

Die letzten Jahre und der frühe Tod

Seit 1838 ist Heine, wie berichtet nicht mehr als Orthopäde tätig, Sondern widmet sich ganz seinen Forschungen und Vorlesungen. 1844 wird an der medizinischen Fakultät der Würzburger Universität ein Lehrstuhl für ein neues Fach eingerichtet: Experimentalphysiologie. In einem langen Gutachten begründet der Senat gegenüber dem bayerischen König die Notwendigkeit und schlägt zugleich den ersten Lehrstuhlinhaber vor: Bernhard Heine, und der König ernennt diesen zum außerordentlichen Professor. Dies ist zweifellos der zweite Höhepunkt seiner Laufbahn. Umso tragischer ist es, dass der berufliche Erfolg bereits von einer sich abzeichnenden schweren Krankheit überschattet wird. Heine, der schon jahrelang an wiederholten Schwächeanfällen leidet, wird tuberkulosekrank, erleidet immer wieder starke Hustenanfälle mit Blutauswurf, sodass er in den Jahren nach 1844 zeitweise den Vorlesungsbetrieb unterbrechen muss. Im Sommersemester 1845 und im Wintersemester 1845/46 liest er überhaupt nicht und muss im April 1846, nachdem er wieder zu lesen begonnen hat, um Urlaub bitten. In einer Art Todesahnung macht er sein wissenschaftliches Testament: Er schickt ein Paket mit Aufzeichnungen an die Pariser Akademie, um auf diese Weise seine Rechte an den gewonnenen Erkenntnissen zu sichern. Diese handschriftlichen Aufzeichnungen, aber auch die früheren Arbeiten Heines, die er der Akademie, vorgelegt hatte, schlummern fast einhundert Jahre in den Archiven der Akademie und werden erst von den obengenannten Forschern der Festschrift des Jahres 1926 wieder entdeckt und veröffentlicht. So ist es zu erklären, dass die wichtigen Ergebnisse Bernhard Heines zur Knochenregeneration in den Jahrzehnten nach seinem Tod nur unzureichend gewürdigt wurden.
Heines Freund Bernhard Demme, der von Warschau nach Bern gewechselt ist, lädt ihn in die Schweiz ein. Dorthin reist der Todkranke Ende Juli 1846. In Glockenthal bei Thun erleidet er am 31. Juli einen Blutsturz, von dessen Folgen er sich nicht mehr erholt. Seine Leiche wird nach Würzburg gebracht und am 8. August unter großer Anteilnahme zahlreicher Wissenschaftler und der Bevölkerung beigesetzt. Ein Jahr später wird bei dem Grab eine Bronzeplatte angebracht, die ein Osteotom zeigt und Heines Leistungen würdigt. Sie wird bald darauf - wie der aufgebrachte Chronist berichtet - "von ruchloser Hand entfernt." Heute erinnert beim (Johann Georg) Heine-Denkmal eine Grabplatte mit folgendem Text an Bernhard Heine:


Hier ruhet
Dr: Bernhard Heine

Schöpfer in d: Orthopädie
Endecker in d: Physiologie
Erfinder des Osteotoms

Der treuste Freund
Der reinste Mensch

geb: d: 20: August 1800.
gest: d: 31: Juli 1846.
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Bernhard Heine - der Forscher und der Mensch

"Wenn Ernst und Gründlichkeit als charakteristische Zeichen deutscher Forscher gelten, so war Heine ein würdiger Vertreter seines Volkes".

So heißt es im Nekrolog des Würzburger Arztes K. F. von Markus, der in der Augsburger Allgemeinen Zeitung an Weihnachten des Jahres 1846 veröffentlich wurde. Wenn man weiß, dass Heine aus dem Schwarzwald stammte, kann man sicher zum Ernst und zur Gründlichkeit den Fleiß als weiteres Merkmal hinzufügen. Er muss von jungen Jahren an ein unermüdlicher Arbeiter gewesen sein. In einem Alter, in dem heute von den jungen Menschen über die Schularbeit hinaus nur wenig Arbeitseinsatz verlangt wird, wird er, wenn auch zu Verwandten, in die Fremde geschickt, und beginnt eine praktische und theoretische Ausbildung. Wir wissen nicht viel über ein Privatleben, nicht nur weil die Quellen darüber schweigen, sondern auch weil für Bernhard Heine das Privatleben keine große Rolle gespielt haben dürfte. Als strenggläubiger Katholik wird er bezeichnet, als charakterfest und tolerant. Eine große Bescheidenheit lässt sich gleichfalls aus den wenigen zugänglichen Originaltexten erschließen. Die Eskapaden der letzten Jahre seines Onkels und Schwiegervaters Johann Georg Heine hat er sicher ebenso wenig gutgeheißen wie dessen Sohn Joseph. Gerade hier wird noch einmal der Wandel in der medizinischen Wissenschaft deutlich, den nicht zuletzt auch Bernhard Heine mit seiner Arbeit beeinflusst hat. Ihm wäre es nie in den Sinn gekommen, sein eigenes wissenschaftliches Fach- gebiet zu verlassen und sich Zuständigkeiten in fremden Bereichen anzumaßen.
Der frühe Tod und die damit zusammenhängende Tatsache, dass Bernhard Heine keine umfassende Veröffentlichung seiner bis heute gültigen Erkenntnisse vorlegen konnte, hat dazu geführt, dass man in ihm vor allem den Erfinder des Osteotoms gesehen hat. Nachdem dieses Instrument heute nur noch als Museumsstück interessant ist, da es inzwischen durch andere Operationsmethoden ersetzt wurde, liegt die eigentliche Bedeutung Bernhard Heines in seinen Forschungsergebnissen zur Physiologie der Knochen, und hiermit nimmt er seinen Platz ein in der Reihe der großen Mediziner mit dem Namen Heine, wie seine Vettern Joseph und Jacob, sowie dessen Sohn Carl Wilhelm, von denen in späteren Beiträgen die Rede sein soll.
Obgleich der Schramberger Bernhard Heine, ebenso wie der Lauterbacher Johann Georg Heine, mit großer Wahrscheinlichkeit nach dem Wegzug nach Würzburg nicht mehr in die Heimat zurückgekommen ist, kann Schramberg stolz sein auf einen großen Sohn, der von hier aus in die Welt zog und zu einem bedeutenden Arzt und Forscher wurde.

Literatur (Auswahl):

(1) Noodt, Carl:
Das Osteotom und seine Anwendung, Dissertation München 1836

(2) Voigt, B.F. (Hg.):
Neuer Nekrolog der Deutschen, 24 Jg. (1846), Weimar 1848

(3) Vogeler, Redenz, Walter, Martin:
Bernhard Heines Versuche über Knochenregeneration, Berlin 1926 (siehe Abb. 5)

(4) Leis, Walter Rolf:
Bernhard Heine - Seine Leben und Wirken in Würzburg - Seine Bedeutung für unsere Zeit, Dissertation Würzburg 1971

(5) Rütt, August:
Die Orthopädie des 19. Jahrhunderts in Würzburg, in Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst, 23(1971), S. 117 - 128

Benutzt wurde auch das "Heine-Archiv" der Gemeinde Lauterbach, der hiermit für die Bereitstellung gedankt sei.

Inhaltsverzeichnis

  • Die Würzburger Lehrjahre (1810 - 1822)
  • Bernhard Heines bedeutende Erfindung: Das Osteotom
  • Heirat mit Cousine Anna und Reise nach St. Petersburg
  • Zahlreiche Ehrungen und Ernennungen
  • Die große wissenschaftliche Leistung: Forschungen über Knochenbildung
  • Die Heinesche Sammlung von Knochenpräparaten
  • Bernhard Heine - der Forscher und der Mensch
Zeittafel
1800 Aug 20 in Schramberg geboren
1801 Anna geboren
1803 Joseph geboren
1813 Übersiedelung nach Würzburg zu Onkel J.G.H.
1824 Beginn der Überlegungen zum Osteotom das Ost. vorgestellt
1828 Heine übernimmt die Leitung des Karolinums
1831 Oktober: ebenso in München, 3 Op. in München, 1 in Berlin erste Operationen an lebenden Menschen mit dem Osteotom
1831 Dezember: Erteilung eines Privilegiums durch den bayr. König
1832 Heine in Jena/ Textor operiert in WÜ Demme operiert in Warschau (poln. Aufstand)
1833 Heine in München, Breslau, Wien, Jena
1834 Heine führt das Instrument der Akademie der Wissenschaften in Paris vor. Er zeigt auch Knochenpräparate aus seinenVersuchsreihen. Begeisterte Zustimmung der frz. Ärzte
1834 Heine in Jena
1835 Demme in Bern, Textor operiert in WÜ, Heine führt das Osteotom, Joseph Heine operiert in Bamberg
1836 Juli 18: Heine erhält den Mothyon-Preis (2000 Francs)
1836 Ehrendoktor der Univ. Würzburg
1837 Starke Nachfrage nach dem Osteotom, das von Heine in Würzburg hergestellt wird
1837 Heirat mit seiner Base Anna Heine (nachdem JGH jahrelang Widerstand geleistet hatte)
1837 Juli: Reise nach Russland - Angebot des Zaren Nikolaus Orthopäde in Kronstadt zu werden abgelehnt Aufenthalt in Petersburg 1/2 Jahre
1838 August 13: Heine erhält den Preis der Akademie der Wissenschaften in Paris
1838 Ernennung zum Ehrenprofessor der Univ. WÜ durch den bayerischen König Ende des Karolinums - H. wohnt nur noch dort
1843 Aug 07 Geburt des Sohnes Carl
1844 Ernennung zum außerordentlichen Professor für Experimentalphysiologie
1845 Verschlimmerung der Krankheit
1846 Aufzeichnungen an die Pariser Akademie geschickt, Urlaub in der Schweiz auf Einladung Demmes
1846 Juli 31: Blutsturz und Tod im Glockental bei Thun am Thuner See
1846 August 08: Begräbnis in Würzburg
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